Walkie-Talkie
2009 · Bleistift auf Papier · 40 x 50 cm



Seit 1983 wohnten, unsere Eltern, mein Bruder und ich, im Erdgeschoss eines Mehrfamilienhauses in der Rudi-Arndt-Straße 6 in Neustrelitz.

Im Sommer 1990 besuchten uns Günther und Gerlinde aus Trochtelfingen. Sie waren die Ersten unserer schwäbischen Verwandschaft, die nach der Wende zu uns kamen. Als Gastgeschenk brachten sie mir und meinem Bruder zwei Walkie-Talkies mit. Anfangs spielten wir damit auf herkömmliche Weise, meistens in den Grünanlagen am Glambecker See.

Ein paar Wochen später entdeckten wir eine weitere Möglichkeit die Walkie-Talkies zu benutzen. Wir wollten unsere Eltern abhören, um zu erfahren, was sich die beiden abends zu erzählen hatten. Jeden Abend saßen sie zu zweit auf der Couch, nachdem sie uns gegen 20 Uhr ins Bett geschickt hatten.

Nachdem unsere Eltern morgens zur Arbeit gegangen waren, begannen wir mit der Umsetzung. Ungefähr neun Stunden hatten wir Zeit, bis sie von der Arbeit zurück kamen. Den abhörenden Walkie-Talkie versteckten wir hinter einem der zwei Kissen auf der Couch, außerdem fixierten wir den Schalter, mit man zwischen Sprech- und Hörfunktion hin- und herschalten muss, mit einem Klebeband, damit er dauerhaft auf Sprechen gestellt war.

Die weitere Ausführung unseres Plans wurde nun etwas aufwendiger: beim Austesten stellten wir fest, dass das Signal nicht durch die dicken Altbauwände reichte. Also mussten wir einen Draht als Verbindung zwischen den beiden Geräten verwenden. Das Ende des Drahtes wickelten wir zuerst um die Antenne das abhörenden Walkie-Talkies hinter dem Kissen auf der Couch. Dann verlegten wir den Draht sorgfältig durch das Wohnzimmer hinter dem Ofen entlang bis zur Tür zwischen Küche und Wohnzimmer. Dann ging es weiter durch die Küche, hinter Essecke, Spüle und Herd entlang, bis zu unserem Kinderzimmer. Besonders an den Türschwellen zwischen Wohnzimmer und Küche sowie zwischen Küche und Kinderzimmer erforderte die Verlegung viel Sorgfalt.

Nachdem wir alle Räume einer letzten, gründlichen Prüfung unterzogen hatten, ob wir keine Spuren hinterlassen hatten, konnten wir beruhigt auf die Rückkehr unserer Eltern warten. Um 20 Uhr wurden wir dan pünktlich ins Bett geschickt. Ein paar Minuten später nahmen wir dann den Walkie-Talkie in unserem Zimmer in Betrieb. Nichts war zu hören, nur die Fernsehnachrichten.


beziehungsweisen. Junge Kunst aus Leipzig · Kunstverein Konstanz · Februar 2015
Foto: Charlotte Sattler